Bis der Titel ‚Thelma‘ über die Leinwand flimmert, sind gerade einmal vier Minuten vergangen. Doch die sich davor aufwerfende Frage begleitet die Zuschauer*innen wesentlich länger. Im Prolog sehen wir einen Mann und ein kleines Mädchen. Sie sind auf einem Jagdausflug, laufen auf einem gefrorenen See und kreuzen im schneeverhüllten Wald schließlich den Weg eines Rehs. Der Mann legt das Gewehr an und zielt – auf das Mädchen. Wieso will er sie erschießen? Die Frage wird sich im Verlauf des Films klären. Dabei folgen wir der erwachsenen Thelma, die sich im Studium alleine zurecht finden muss. Zunächst zurückhaltend, legt sie zunehmend die Verhaltensmuster ihrer streng christlichen Erziehung ab. Sie beginnt zu trinken, zu rauchen und verliebt sich in ihre Freundin Anja. Währenddessen plagen sie Selbstzweifel und Schuldgefühle. Besonders die Anziehung zu Anja treibt Thelma in eine Sinnkrise.
Dies klingt soweit vertraut, allerdings sind da noch epileptische Anfälle, tote Vögel und kreuchende Schlangen.
In seinem vierten Spielfilm beschäftigt sich Joachim Trier erneut mit existentiellen Fragen. Er konzentriert sich dabei sehr auf die titelgebende Figur und ihre Identitätsfindung. Meistens zeigt er die Hauptdarstellerin im Zentrum der Bildkomposition oder ihr Gesicht in Nahaufnahme. Geduldig spannt er den Erzählbogen, schafft intensive Szenen und entblättert behutsam die zutiefst traurige Vergangenheit der Protagonistin und ihrer Familie. Die Geschichte beginnt er im Realen, bedient sich jedoch auch einer überwirklichen Atmosphäre. All dies macht den offiziellen Beitrag Norwegens für den besten fremdsprachigen Film bei den Oscars 2018 äußerst sehenswert.
Daniel Etspüler
Wir zeigen THELMA in Kooperation mit dem SHIVERS-Team, das zu diesem Anlass eine ganz besondere Moonlight Madness zaubert.
NOR 2017
116 min
REGIE: Joachim Trier
DREHBUCH: Eskil Vogt, Joachim Trier
PRODUKTION: Thomas Robsahm
MUSIK: Ola Fløttum
KAMERA: Jakob Ihre
MIT: Eili Harboe, Kaya Wilkins, Henrik Rafaelsen
KONTAKT: Koch Media / Die Filmagentinnen

Joachim Trier
Joachim Trier ist ein preisgekrönter Regisseur und Drehbuchautor. Seine von der Kritik gefeierten Spielfilme AUF ANFANG (Reprise, 2006) und OSLO, 31. AUGUST (2011), deren Drehbuch er gemeinsam mit Eskil Vogt verfasst hat, wurden zu vielen internationalen Filmfestivals eingeladen und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Mit dem Familiendrama LOUDER THAN BOMBS (2015) drehte Joachim Trier seinen ersten englischsprachigen Film mit Isabelle Huppert, Gabriel Byrne, Jesse Eisenberg und Devin Druid.